„Der Laden, meine Tochter und ich – wir drei sind gleich wichtig.“

Wie Lea Zapf gelernt hat, sich nicht zu verlieren, wenn sich alles verändert.

Trennung, Selbstständigkeit, Verantwortung – und der Versuch, dabei bei sich zu bleiben.
Lea Zapf führt seit fünf Jahren ihre Marktpatisserie am Viktualienmarkt. Sie liebt das Handwerk, das frühe Arbeiten, den Duft von Teig und Kaffee. Doch in diesem Jahr hat sich vieles verschoben: privat, beruflich, emotional.

Im Gespräch erzählt Lea, was die Veränderung mit ihr gemacht hat. Wie sie gelernt hat, Hilfe anzunehmen und warum es manchmal reicht, einfach Tag für Tag weiterzumachen. Ein ehrlicher Blick auf Arbeit, Mut und den eigenen Umgang mit Grenzen.

(Das Interview ist eine Aufzeichnung von „Drinks & Dings“, dem oh tinyville-Format, bei dem wir inspirierende Menschen an ihren oder anderen inspirierenden Orten treffen.)

Für alle, die dich noch nicht kennen: Wer bist du - und was ist die Marktpatisserie? Und wie kommt man überhaupt an einen Stand am Viktualienmarkt?

Ich bin Lea, 35, Konditormeisterin. Ich mache das hier seit fünf Jahren. Ich wollte schon immer eine eigene Patisserie eröffnen und habe mich - ehrlich gesagt ohne große Erwartungen - auf einen Stand am Viktualienmarkt beworben. Das läuft über ein offizielles Bewerbungsverfahren. Ein gutes halbes Jahr später kam die Zusage per Post. Und dann ging’s los: Ich habe elf Monate umgebaut, alles kernsaniert, Strom legen lassen, damit ich hier auch wirklich backen kann. Mir war wichtig, dass alles an einem Ort passiert - also Backen und Verkauf zusammen. Dann kam Corona, und ich hab trotzdem eröffnet. Heute bin ich immer noch jeden Tag froh, wenn ich die Tür aufschließe. Es ist ein besonderer Ort - wunderschön, aber manchmal auch richtig anstrengend.

Was macht den Ort so schön - und was ist schwierig?

Das Schönste ist die Gemeinschaft auf dem Markt. Man hat hier nicht nur zwei Nachbarn, sondern ganz viele tolle Menschen. Schwierig ist die Größe. Hier passiert alles - und es ist super klein. Eine Konditorei braucht eigentlich viele Kühl- und Gefriermöglichkeiten, wir haben aber nur wenige. Wir können immer nur einzeln in der Backstube stehen. Das schränkt mich schon sehr ein. Gleichzeitig gibt es mir aber auch Freiheit, weil viele Sachen gar nicht möglich sind. Mein größter Traum wäre, mal richtig geile Croissants zu backen - geht hier einfach nicht. Die Arbeitsfläche ist weniger als ein Quadratmeter. Im Winter ist es eiskalt, im Sommer drinnen locker zehn Grad heißer als draußen - also so 45 Grad. Da kann man keine Sahne aufschlagen, deswegen gibt es im Sommer auch keine Sachen mit Sahne. Aber trotz allem: Ich bin total gerne hier.




Wie sah dein Weg in die Selbstständigkeit aus?

Ich habe meine Ausbildung spät angefangen, erst mit 24, und wusste da schon, dass ich irgendwann mein eigenes Ding machen will. Ich backe einfach am liebsten nach meinen eigenen Rezepten. Und weil im Handwerk Meisterpflicht herrscht, war klar, dass ich den Meister mache. Ich hab aber nicht immer als Konditorin gearbeitet - eigentlich bin ich seit ich 18 bin in der Gastro unterwegs, in allen möglichen Varianten: Bar, Tagescafé, Restaurant. Vor der Patisserie war ich bei Dallmayr im Bar & Grill, hab viele Austern und viel Champagner verkauft. Und was ich hier so liebe, ist diese Mischung aus Gastgeberin sein und Backen. Ich steh nicht nur hinten, sondern auch vorne - das macht es für mich perfekt.

Wie läuft ein „idealer“ Arbeitstag? Und wann entstehen neue Rezepte?

Bis Anfang des Jahres bin ich jeden Morgen um fünf aufgestanden, hab um sechs angefangen und um acht den Laden aufgesperrt. Inzwischen gönn ich mir eine Stunde länger Schlaf. Die Sachen, die es zum Frühstück braucht, sind dann fertig, die cremige Patisserie kommt halt eine halbe Stunde später - dafür bin ich ausgeschlafener. Frühschicht hab ich zwei bis drei Tage die Woche. Dienstags und mittwochs versuche ich, nicht da zu sein - das sind die Tage mit meiner Tochter. Montags ist Produktionstag.

Insgesamt ist alles ziemlich durchgetaktet. Neue Rezepte entstehen daher nebenbei. Auf dem Rad, unter der Dusche, mitten beim Arbeiten. Nach der Geburt meiner Tochter war mein Kopf komplett woanders - so anderthalb Jahre lang. Dann kam die Kreativität langsam zurück. Dazwischen hab ich auch was Neues gemacht, aber eher so gezwungen. Jetzt wieder freier.

“Dieses Jahr hat sich manchmal angefühlt wie tägliches Überleben. Aber wenn man dranbleibt, wird’s leichter.”


Dieses Jahr hast du eine große private Veränderung erlebt: die Trennung vom Vater deiner Tochter. Wie hat das deinen Arbeitsalltag beeinflusst?

Privat und Arbeit kann ich nicht trennen. Alles, was bei mir passiert, wirkt sich auch hier aus. Vorher hatte ich die Freiheit, jeden Morgen zu backen, weil mein Ex unsere Tochter in die Kita gebracht hat. Nach der Trennung musste ich alles umstellen: Dienstpläne, Personal - damit das 50/50-Modell funktioniert. Gleichzeitig hat sich mein Team verändert, viele tolle Aushilfen sind gegangen. Es war anstrengend, aber es geht. Und ja, es ist teuer. Ich hab zwei Mitarbeiterinnen zusätzlich eingestellt, und privat wird es ja auch nicht günstiger. Es gab einen Tag, da dachte ich: Okay, das funktioniert nicht. Direkt nach der Trennungsberatung, Anruf, Mitarbeiter krank, Kita zu - ich habe meine Tochter abgeholt und bin mit ihr in den Laden gefahren. Hat nicht gut funktioniert (Lea lacht), sie ist erst drei. Aber wir haben es überlebt.

Wie gelingt dir der Spagat zwischen Laden, deiner Tochter und dir selbst?

Mal gut, mal gar nicht. Es gibt Tage, da läuft alles rund - und Tage, da läuft gar nichts. Dann kommt alles gleichzeitig. Ich priorisiere nach dem, was ansteht: Wie geht es mir? Wie geht es meiner Tochter? Was braucht der Laden? Ich versuche, dass nicht immer Dasselbe hinten runterfällt. Wir drei sind gleich wichtig - der Laden, meine Tochter und ich. Und ich glaube fest daran, dass es am Ende irgendwie klappt, weil es bisher immer irgendwie geklappt hat.


Was hilft dir, wenn alles zu viel wird? Und welchen Rat gibst du Menschen, die gerade mitten im Sturm stehen?

Backen ist für mich meditativ. Morgens allein, keiner redet mit mir, keiner will was - da wird mein Kopf frei. Und ich mach mir inzwischen kleine „Kurzurlaube mit mir“. Wenn ich mal eine halbe Stunde hab, mach ich einfach, worauf ich Bock hab: auf dem Balkon sitzen, Zigarette rauchen, in den Baum schauen. Hauptsache, allein - Handy aus.

Mein Rat: Einfach Tag für Tag. Nicht zu weit nach vorne schauen. Sich kümmern - vor allem um sich selbst. Dieses Jahr hat sich manchmal angefühlt wie tägliches Überleben. Aber wenn man dranbleibt, wird’s leichter.

Was wünschst du dir für die nächsten Jahre - für die Marktpatisserie, für dich und deine Tochter?

Ein bisschen mehr Ruhe. Einen guten Rhythmus. Und dass dieser besondere Ort so lebendig bleibt - ohne dass ich mich zerreißen muss.

Vielen Dank für das schöne Interview, liebe Lea! Folgt Lea auf Instagram, um mehr über ihre Liebe zum Handwerk und Genuss zu erfahren.

Fotos: Anna-Katharina Pelzel und Vivien Neumann

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„Selbstverwirklichung ist ein lebendiger Prozess, der auch Pausen, Fehler und Wandel erlaubt.“