„Ich wünsche jedem Menschen mindestens einen Ort, an dem er sich gesehen und sicher fühlt.“

Wie Saskia Behrens Orte gestaltet, die Menschen stärken.

Placemaking, Caretaking, Gemeinschaft – Saskia Behrens arbeitet an den Stellen, an denen Räume zu mehr werden als Wänden und Möbeln. In der Kalle Co-Werkstatt und der Wendolin Residency schafft sie Umgebungen, in denen Menschen sich gesehen fühlen dürfen: mit ihren Bedürfnissen, Fragen, Grenzen und ihrem ganz eigenen Tempo.

Im Gespräch erzählt Saskia, wie Unterstützung im Kleinen beginnt und weshalb ein guter Raum immer dort anfängt, wo alles, was einen beschäftigt, willkommen ist. Ein ehrlicher Blick auf Gestaltung, Fürsorge und den Mut, auch für sich selbst gut zu sorgen.

Saskia, auf deinem Profil steht: Placemaking & Caretaking - wie erklärst du jemandem, der dich neu kennenlernt, was du eigentlich tust?

Das ist wirklich tagesform- und kontextabhängig. Ich sehe selber, dass es schwer ist zu greifen, was ich (beruflich) tue.

Will ich es kurz halten und wenig Gegenfragen aufwerfen, z.B. auf diesen Fragebögen bei Ärzt*innen bin ich übrigens auch Designerin. Euch mit eurem Interesse und dem Raum, den ihr so aufrichtig eröffnet, antworte ich:  Placemaking, wie ich es betreibe, ist eine Form der räumlichen Gestaltung, die über visuelle Ergebnisse hinausgeht. Es versucht zu verstehen, wer und wo erwünscht und (noch) nicht erwünscht ist und darauf gezielt einzuwirken. Ich wünsche jedem Menschen mindestens einen Ort in seinem Leben, an dem er sich gesehen, verstanden, akzeptiert, inspiriert, sicher und gewertschätzt fühlt. Ursprünglich findet der Begriff seine Heimat in der Stadtplanung und somit an Plätzen, die allen gehören sollten.

Deutlich und bedeutsam wird diese Form meiner Arbeit z.B. an Stellen an denen Wohlgefühl einen besonders hohen Stellenwert haben sollte, z.B. in sozialen Einrichtungen, in der Pflege, im medizinischen Kontext..

Caretaking ist die konsequente Fortführung dessen, sich zu interessieren und zu engagieren innerhalb des gesellschaftlichen Kontexts. Warum z.B. sind die für uns relevantesten Berufsbilder, die Verantwortung für andere Menschen tragen, so schlecht oder teilweise gar nicht bezahlt?

Mit der Kalle Co-Werkstatt und der Wendolin Residency schaffst du Räume, in denen Menschen ausprobieren, scheitern, wachsen dürfen. Was macht für dich einen Ort aus, an dem Gutes für einen selbst und für andere entstehen kann?

Ich glaube, dass wir uns im Berufsleben strukturell ein echt enges Korsett erbaut haben, dem wir immer weniger gerecht werden können und auch wollen, vor allen Dingen hinsichtlich der stetig wachsenden Anforderungen, neben der Erwerbsarbeit. Wir brauchen auch Energie, um zu sehen, wie wir mit einer Welt umgehen können, die z.B. durch Umwelteinflüsse erhebliche Veränderungen in der Lebensqualität für uns bedeuten wird. Wie können wir uns liebevoll um die Generation vor und nach uns kümmern? Das braucht alles Energie, und nicht zu wenig.

Außerdem freue mich über jede Möglichkeit in der Menschen arbeiten/wirken kännen und dabei glücklich und gesund bleiben dürfen. Und die Bedürfnisse sind so individuell. Ich denke, dort wo ich arbeite, mache ich zuallererst mal den Raum für solche Themen überhaupt auf. Eine Art Angebot, dass alles was einen beschäftigt, ok ist. Gemeinsam und zusammen sieht man, was der Mensch ganz individuell braucht und ob und wie man da dann gemeinsam hinkommt.




Du hast mal beim Cake Shop Polz in Köln eine große, kurzfristig stornierte Bestellung ‘gerettet’ und einfach Kuchen weiter verschenkt. Was passiert in dir, wenn du solche Situationen siehst - und wie entscheidest du: Da gehe ich jetzt rein und mache was?

Wie lustig, dass ihr das aufgreift. Mir imponieren und gefallen alle Bemühungen umeinander. Und es gibt in diesem Viertel, in dem Polz auch ansässig ist - in dem ich bisher selber noch nie gewesen bin - so viele tolle Personen, die mit Mut ein wertvolles Umfeld schaffen und sich im Miteinander etwas aufbauen. Das kostet so viel Zeit und Energie, Geld und bedeutet ein Risiko, und ich weiß aus eigener Erfahrung, wie gewichtig es sein kann, wenn man dann etwas Leichtigkeit und Mitgefühl spürt. Es war so schön zu sehen, wie vielen Menschen, das eine kleine Freude bereitet hat.

Viele Menschen würden gern ihre Leute unterstützen - die Nachbarin mit Laden, den Freund mit kleinem Projekt -  trauen sich aber nicht so recht oder denken: ‘Ist doch nur eine Kleinigkeit.’ Welche kleinen Gesten und Aktionen haben deiner Erfahrung nach eine viel größere Wirkung als man denkt?

Unbedingt machen! Nicht so sehr im Kopf verharren, bei diesen schönen Impulsen was tun zu wollen. Und warum nicht einfach direkt fragen? „Ich will dich unterstützen und an deiner Seite stehen, was ergibt Sinn, was ist dein Wunsch?“ Zusammen die guten und die schwierigen Seiten auszuhalten die z.B. small label-Arbeit mit sich bringt, entlastet eine Person, die das erlebt immens. Es entkräftet Ängste.

Wendolin Residency - ein Ort, an dem Kreative sich austoben, arbeiten, pausieren und einfach sein können.

Du gibst viel: Zeit, Energie, Ideen, Herz. Wie sorgst du dafür, dass du dich dabei nicht selbst verlierst? Gibt es Rituale, Menschen oder Orte, aus denen du deine Kraft und Kreativität immer wieder neu schöpfst?

Therapie. Bedingt durch unterschiedliche psychische Erkrankungen bin ich sehr erfahren in therapeutischer und reflexiver Arbeit. Neben der Behandlung und Linderung von Symptomen, was natürlich absolute Priorität ist, hilft es auch besser, in Verbindung zu sein mit dem, was für einen selber funktioniert und was eben nicht. Ich mache viele, viele Nickerchen am Mittag und große Pausen alle paar Tage, die so richtig Tempo rausnehmen. Und ich selber profitiere ja auch von meiner eigenen Arbeit. Dieses Interview ist ein schönes Beispiel. Es ist wertschätzend und ein schönes Gefühl, wenn jemand so liebevoll auf das schaut, was man tut! Körperlich: Ich gehe rentnern, also langsam spazieren. Körperlich aktiv sein, ungeachtet der Intensität, kann auch so viel für den Kopf tun.

In der Weihnachtszeit wird viel gekauft und gespendet: Welche kleinen Labels, Projekte oder Menschen würdest du gerne empfehlen, die man jetzt gerade supporten kann?

ES GIBT SOOO VIELE:

Tüdelband in Winsen - hat ein hartes Wasserrohrbruchjahr hinter sich und geht mit so viel Schwung wieder zurück, um den Ort für alle wieder zurückzubringen.

daclari - baut sich grad was auf, von dem sie schon lange träumt und jeden Schritt genießt und mit viel schöner Aufregung durchläuft.

Tschau Tschüssi -  ich nenne Miriam ümma Concept Store Koryphäe, weil sie so lange schon so hingebungsvoll den schönsten Laden führt, der stets er selber, aber nie stehen bleibt.

Man muss/kann letzendlich einfach seine eigene Wohnstraße entlang gehen und findet dort ganz sicher Läden/Unternehmungen von Menschen, die sich freuen, wenn man sich aufrichtig dafür interessiert, was sie tun, denken und beschäftigt.

Eindrücke von Appartements im SOS-Kinderdorf, die Saskia mit umgestaltet hat


Vielen Dank für das schöne Interview, liebe Saskia! Folgt Saskia auf Instagram, um mehr über sie und all ihre guten Projekte zu erfahren.

Fotos: Anne Deppe, Johanna Stolzenberger und privat

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„Der Laden, meine Tochter und ich – wir drei sind gleich wichtig.“