„Ich glaube nicht an verlorene Wege – sondern an neue.“ Julia von BERBERLIN
Wie Julia von BERBERLIN ihren Weg neu denkt – zwischen Rollenwechseln, Lebensphasen und der Suche nach dem nächsten Kapitel.
Was passiert, wenn man ein erfolgreiches Herzensprojekt loslässt – nicht aus Mangel an Liebe, sondern aus dem Wunsch nach Weiterentwicklung? Julia, Gründerin von BERBERLIN, spricht im Interview offen über ihr Leben nach zehn Jahren Selbstständigkeit, über die Herausforderungen des Mutterseins, das Aufbrechen alter Rollenbilder und die Kraft von ehrlicher Kommunikation – on- und offline. Zwischen Gärtnern, Brot backen und Zukunftsvisionen erzählt sie, wie sich das Leben in Kapiteln schreiben lässt – und warum manchmal nicht das Festhalten, sondern das Loslassen der mutigste Schritt ist.
Erinnerst du dich an den Moment, in dem du das Gefühl hattest: „BERBERLIN, das ist mein Weg“?
Ich war nach 13 Jahren Sydney, wo ich als Fotografin und Künstlerin unter anderem in der Mode gearbeitet hatte, wieder in Deutschland angekommen. Und noch etwas orientierungslos. Meine Leidenschaft galt immer dem Interior und ich bin recht trendaffin.
Ich sah, dass der Trend der marokkanischen Teppiche, den es in den 70ern schon mal gab, in Sydney, NY, LA und Paris gerade wieder auflebte. Mein Mann und ich erwarteten unser erstes Kind und wollten uns die Kinderbetreuung gerecht aufteilen.
Also schlug ich vor, dass wir uns selbstständig machen. Beim Reisen in Marokko und bei den Besuchen in seiner Heimat Tunesien verliebte ich mich in das Teppichhandwerk. Dadurch, dass Walid Arabisch spricht, öffnete das natürlich ganz andere Türen. Wir starteten BERBERLIN mit Instagram aus unserem Wohnzimmer – und nun wächst und gedeiht es seit 10 Jahren.
Wann hast du zum ersten Mal gespürt, dass du deinen Weg vielleicht verloren hast?
Ich glaube gar nicht so sehr an verlorene Wege, sondern an neue Wege. Ich finde das Leben zu spannend – und auch zu kurz oder vielleicht auch zu lang, um mich einer einzigen Profession zu verschreiben. Ich war schon ausstellende Künstlerin, in der Mode und in den Medien arbeitende Fotografin und seit 10 Jahren bin ich Unternehmerin.
Ich liebe BERBERLIN und die Teppiche noch immer. Aber ich hab gemerkt, ich kann und will nicht mehr über sie sprechen. Die Liebe bleibt – aber jetzt kommt mal wieder ein neuer Abschnitt.
Wie gehst du mit der Unsicherheit um, die gerade in dir ist – beruflich wie persönlich?
Ich hab immer viele Ideen und Visionen – und aus einer sicheren Position heraus scheint für mich immer alles machbar. Aber ich muss sagen, dass die momentane Lebenslage, in der ich mich befinde, mich kräftemäßig ziemlich fordert. Ich habe drei Söhne, und eines meiner Kinder bedarf durch seine Neurodivergenz erhöhter Aufmerksamkeit. Ich selbst befinde mich in der Perimenopause – eine Phase, von der ich nicht erwartet hatte, dass sie mich so beeinflusst.
Zusätzlich bin ich eh schon selbst hochsensibel – und dafür ist die Weltlage und die an mich gestellten Herausforderungen einfach oft zu viel. Meine Eltern werden auch gerade nicht jünger – und das nimmt auch Platz ein.
Und dann ist da ja noch „das bisschen Haushalt“. Und ich hab ja auch noch eine Ehe – die Gott sei Dank stabil ist. Es ist einfach alles viel – und ich muss mich gerade darauf konzentrieren, dass hier alles im Flow bleibt.
Was hat es mit dir gemacht, deine Gedanken und Zweifel so offen auf Instagram zu teilen? Gab es Reaktionen, die dich besonders berührt oder bestärkt haben?
Ich bin ein sehr offener Mensch. Das führt zu vielen schönen, aber auch manchmal anstrengenden Erfahrungen – denn nicht jeder kann mit Ehrlichkeit umgehen.
Ich bin irgendwie in diese Insta-Bubble gerutscht, und es macht mir super viel Spaß, weil ich ein sehr visueller Mensch bin, Geschichten liebe und gerne teile. Aber vieles, was dort gezeigt wird – oder eher: was nicht gezeigt wird – ist einfach ganz ungesund für unsere Psyche. Der ständige Vergleich. Dadurch, dass ich viele Menschen in der Bubble seit Jahren gut kenne, sehe ich ja auch, was hinterm Handy los ist. Und das ist einfach alles wie bei jedem anderen Menschen auch.
Wir haben alle unsere Probleme, unsere Themen und Konflikte. Für mich gehört es dazu, das auch mal zu thematisieren. Das macht mein Leben ja nicht weniger ästhetisch oder schön – es ist einfach so. Und ich finde so viel Inspiration auch auf Insta – es ist vielschichtig.
Klar, macht es auch verletzlich, sich da zu zeigen. Aber ich hab mittlerweile auch genug an mir gearbeitet, um zu wissen: Wenn Menschen sich z. B. nicht für mich freuen können, liegt es meist daran, dass sie sich nicht an ihrem eigenen Leben oder ihrer eigenen Lebenslage erfreuen können. Da hab ich dann eher Mitgefühl. Wenn man in der Öffentlichkeit ist, wird man zur Projektionsfläche. Das muss man wissen – dann kann man vieles besser einordnen.
Was tut dir gerade am meisten gut – ganz praktisch oder emotional – in dieser Phase der Neuorientierung?
Ich habe gerade das Bedürfnis, mich auf die simplen Dinge im Leben fokussieren zu wollen. Obwohl – so simpel ist richtig gärtnern gar nicht. Ich weiß überhaupt nicht, was ich da tue – aber es erdet mich im wahrsten Sinne des Wortes.
Ich backe gern Brot und verbringe viel Zeit mit meinen Kindern. Bei meinem Großen habe ich das Gefühl, der braucht mich gerade sehr – und ist schon so vorpubertär, dass es sich so anfühlt, als sei er in wenigen Jahren nicht mehr so daran interessiert, dass ich „dabei“ bin.
Also versuche ich, das jetzt zu genießen, dass er mich noch voll in sein Leben integriert.
Ich hab ein paar Ehrenämter übernommen, engagiere mich, mache viel Sport – was mich wirklich durch die Woche rettet – und denke viel darüber nach, was mein Beitrag sein könnte.
Ich glaube, Community ist der Schlüssel zum Glück – und das geht on- und offline. Ich mag das Leben in verschiedene Kapitel zu unterteilen. Ich arbeite noch an der Überschrift für dieses – und bin dann aber auch schon gespannt auf das nächste. Vielleicht nochmal gründen – oder es geht zurück zur Kunst. Meine große Liebe. Community gehört für mich auf jeden Fall dazu.
Aber ich bin gerade auch einfach dankbar für das, was ist. Meine Familie, meinen Mann – der mein Fels ist – und meine Freundinnen.
Die geben mir so viel. Ich lieb die so! Ich glaube, es ist immer gut, sich zu erinnern: Dort, wo man wässert, wachsen die schönsten Blumen.
Also wässere ich meinen Garten – emotional und praktisch – und erfreue mich an den Blumen.
Vielen Dank für das schöne Interview, liebe Julia! Wir sind so gespannt auf all deine weiteren Wege… Folgt Julia auf Instagram, um mehr über diese inspirierende Frau und all ihre weiteren Weggabelungen zu erfahren.
Fotos: Briony Ridley